Wer ihn nur als Musiker kennt, ist oft erstaunt, Holger Saarmann als Rezitator seiner eigenen Prosa zu hören.

Für ihn ist es nur eine Formsache; seine Lieder und seine geheimnisvollen kleinen Geschichten stammen aus demselben Kosmos:

Wie lebt es sich in einem ehemals geteilten Land, das nach der Vereinigung gar nicht zusammenwachsen mag?

Was macht die Mutter mit den Schatten ihrer erwachsenen Kinder, wenn diese aus dem Haus sind?

Wohin fliegt ein Fesselballon, der nicht landen kann?

Was geschieht in meiner Wohnung, wenn ich sie zwischenvermiete?

Warum verliebt sich so mancher (Mann) immer wieder in die Frauen auf dem Bahnsteig gegenüber?

Weshalb nicht die Liebe neu erfinden?

Dank seiner jahrelangen Bühnenerfahrung auch als Schauspieler geht Holger Saarmanns Prosa ebenso klang- und ausdrucksvoll ins Ohr wie seine Lieder. Erleben Sie beides in einem Programm!





Eine Prosa-Probe:


Heimat

"Nein, Hall! Einfach nur Hall!"

Der Auskunftbeamte am Wangener Bahnhofsschalter runzelte knurrend die für sein Alter bereits viel zu hohe Stirn. Ich aber beharrte auf der Schreibweise mit a: An die Ostküste Englands wollte ich nicht! Auch nicht, wenn es einfacher war. So befand zumindest sein Computer, der die immer wütender eingehämmerten vier Lettern abwechselnd in "Schwäbisch Hall" oder in "Kingston upon Hull" umdeutete. An der definitiven Auskunft "Zielbahnhof unbekannt" konnte dann auch seine zu Hilfe gerufene blonde Kollegin mit ihren flinken Fingern nichts mehr rütteln. Ich beteuerte jedoch, daß Hall einen Bahnhof besitze. Ich war genervt. Das war doch wieder einmal ein Armutszeugnis für die Bahn!

"Es liegt ziemlich weit im Süden", versuchte ich zu helfen, "Links unten im Zipfel sozusagen. Haben Sie nicht vielleicht eine Landkarte hier?"

Ich entdeckte eine neben der Tür zur Wartehalle. Der besagte "Zipfel" war natürlich nicht drauf. Keine Landkarte dieser Republik verzeichnet Hall und Wangen.

"Hier, schaun Sie!"

Ich deutete auf die Wand neben der Karte, dorthin, wo Hall gelegen hätte. Beide schauten gereizt auf. Zahlreiche übrige Kunden bekundeten nun schon seit einigen Minuten ihre Ungeduld. Jetzt aber legte sich ungläubiges Schweigen über die Menge. Alle starrten auf meinen Finger. Der Blonden klappte der Unterkiefer herab. Erbleichend griff sie nach der Hand ihres Kollegen und hielt sie ganz fest. Der stierte nur blöde über sie hinweg. Für Sekunden war es schrecklich still in der Halle. Eine Oma schien einer Ohnmacht nahe. Das war doch zu albern!

"Könnten Sie mir jetzt vielleicht die Zugverbindung heraussuchen und, wenn möglich, ausdrucken?"

Der Beamte gewann als erster die Fassung zurück. Er murmelte etwas von "anderer Datenträger" und beförderte nach kurzer Suche in diversen Schubfächern ein versiegeltes Päckchen zutage. Die darin enthaltene Disk schob er in den Computer, während seine Kollegin, die sich überflüssig zu fühlen schien, den Drucker vorsorglich mit einer neuen Rolle Papier lud.

Irgendwann begann dieser zu rattern.

Sie hatten Hall gefunden!

Stoßweise wuchs der Papierstreifen.

Die Blonde begann ihn aufzurollen, als er den Fußboden berührte.

Ihr Kollege und ich, wir hingen wie gebannt am Monitor, und verfolgten, was da ausgedruckt wurde.

Als alles vorbei war, duzten wir uns schon: Sebastian hieß er. Die Blonde, Carola genannt, streifte mir sogar zum Abschied noch ein Gummiband über die Rolle Papier. Alle im Raum wirkten plötzlich sehr erleichtert.

Ein Greis wetterte mir nach, eine solche Strecke habe er früher mühelos mit dem Fahrrad bewältigt.

 

 




                                     



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