Fi-di-bum  (Das Zimmer)  


Zunächst ging der Schlüssel verloren;

er fiel von dem Brett an der Wand

und verschwand hinter Leisten und Rohren,

wo man weder ihn suchte noch fand.

So blieb jene Tür denn verschlossen,

und das wurde nicht weiter beklagt.

Während Wochen und Monate flossen,

hat keiner den Zutritt erfragt.

Man stellte vor etlichen Wintern

den Schrank vor die sinnlose Tür

und vergaß dann die Kammer dahinter –

nur ich nicht: Ich wohne noch hier.

Im Krempel, der keinen mehr scherte,

da fand ich mein stilles Asyl.

Und wer mich einst singend verehrte,

der findet das längst infantil.

Hab' lange den Hut schon genommen

tanz' lange schon nicht mehr herum.

Ist unsereins nicht mehr willkommen,

dann werden wir stumm –

Fi-di-bum! Fi-di-bum! Fi-di-bum! Fi-di-bum –

dann werden wir stumm, fi-di-bum.

Vier Sessel, gestapelt zu Paaren,

der fünfte wie mir zugedacht.

Hier sitze ich reglos seit Jahren,

hab' weder gespeist, noch gelacht.

Einst war ich gern unter der Stiege,

gern unter dem Bettlein versteckt,

und hab', wenn ich sie schon nicht kriege,

laut polternd die Blagen erschreckt.

Zwar welkten mir Füße und Hände,

die Ohren jedoch wuchsen stramm.

Die Stimmen durch Boden und Wände

sind mein Unterhaltungsprogramm.

Im Spiegel verfolg ich mein Darben.

Wer wird blind, ich oder er?

Übernahm von den Polstern die Farben;

bald seh ich mich selber nicht mehr.

Verrammelt, verblasst und vergessen,

verkümmert, verwachsen und krumm

Ein Überrest, der nicht weiß, wessen,

und auch nicht warum –

Fi-di-bum! Fi-di-bum! Fi-di-bum! Fi-di-bum –

Warum wurd' ich stumm? Fi-di-bum!

Grau sickert das Licht durch die Luke,

ergraut sind die Möbel vom Staub.

Doch keinem graut, wenn ich hier spuke,

dafür sind sie draußen zu laut.

Da konnte ich länger nicht wohnen;

im Haus überall Ignoranz!

Es fehlt dort seit Generationen

der Sinn für mein Tummeln und Tanz!

Ich mag nicht mehr schütteln und rütteln;

zum Tanzen fehlt hier auch der Platz.

Ich such' nicht nach anderen Mitteln,

mein Können ist eh' für die Katz.

Mein Säcklein zerfraßen die Motten,

es ward mir zum Werfen zu schwer.

Die uralten Kobold-Marotten

erschreckten schon lang keinen mehr.

Anstatt daß ich Krach mach' und hasche,

häng' müßig und stumm ich herum.

Den Schlüssel hab ich in der Tasche

und geh doch nicht um –

Fi-di-bum! Fi-di-bum! Fi-di-bum! Fi-di-bum –

Und geh' nicht mehr um, fi-di-bum!

In raren Momenten jedoch, wenn der Morgen

die Kammer mit Bronze erhellt,

da weiß ich: Kein Zimmer bleibt ewig verborgen

und keine Tür ewig verstellt!

Ich höre ein Kind, wie es weint, wie es wimmert

und summ' meine Kennmelodie.

Einmal bin ich wieder der Herr aller Zimmer –

ein Butzemann stirbt nämlich nie ...



(Holger Saarmann)
© by Holger Saarmann, September 2005

Fee-dee-boom  (The Room)


First, the key got lost;

it fell from the board on the wall

and vanished behind strips and tubes

where neither they searched nor found it.

So that door remained locked,

and no one complained about that.

While weeks and months were passing by,

nobody would ask for access.

Many winters ago, they put

the cupboard in front of the useless door

and soon forgot the chamber behind –

except for me: I still live here.

Between the junk that nobody cared for

is where I found my silent asylum.

And those who once honoured me in song,

have long since considered this childish.

Long since, I took my hat,

long since, I stopped dancing around.

If the likes of us are no longer welcome,

we fall silent – 

Fee-dee-boom!

we fall silent, fee-dee-boom.

Four armchairs, stacked in pairs,

the fifth one as meant for me.

Here I have been sitting impassively for years,

with neither a meal nor a laugh.

Once, under the stairs

or a bed I used to hide,

so that, if I failed to catch the prats,

I could at least frighten them banging.

Though my feet and hands have wilted,

my ears became big and stiff.

The voices through floor and walls

are my entertaining programme.

In the mirror, I watch myself fade.

One of us is getting blind, but who?

Took over the upholstery's colours;

I almost can't see myself anymore.

Barricaded, faded-out and forgotten,

shrivelled, withered and crooked,

A remain that does neither know, whose one,

nor he knows why –

Fee-dee-boom

Why did he fall silent? Fee-dee-boom!

Grey light seeps through the hatch,

the furniture turned grey from dust.

But my haunting will turn no one outside to grey,

since they are too loud to hear.

No longer could I dwell there,

with ignorance all over the house!

For generations, there has been a lack of 

appreciation for my romp and dance!

No longer I like to shake and rattle;

there is no room for dancing in here, anyway.

I am not looking for other ways,

anyway, it is all in vain.

My little sack was eaten by moths,

it had become to heavy for throwing.

Those ancient goblin quirks

had frightened nobody long since.

Instead of making noise and chasing,

I hang around futile and mute.

The key is in my pocket,

but I do not walk abroad

Fee-dee-boom!

I do not walk abroad, fee-dee-boom!

Though, in rare moments, when the morning

enlightens the chamber with bronze,

I know: No room will forever be hidden

and no door forever be blocked!

I hear a child, hear how it cries, how it whimpers

and hum my old characteristic tune.

One day, again, I will be master of all rooms –

a Bogeyman never dies ...



(Holger Saarmann)
© by Holger Saarmann, 2005



>> CD "So küsste mich meine Friseuse"





Eine Art Rätsellied, angeregt durch ein Gespräch mit Marco Tschirpke, der mich nach dieser Gestalt befragte. Sie ist uns heute nur noch aus einem Volkslied bekannt, und ich fragte mich, wo sie denn geblieben sein mag. Ein Wesen, das schon im alten Rom bekannt war
nämlich unter dem Namen manducus (= Kieferknacker, Kinderfresser) konnte doch nicht ganz ausgestorben sein!

Das Lied schrieb ich für SAGO, Christof Stählins "Akademie für Poesie und Musik". Die Jahresaufgabe 2005 lautete: "Das Zimmer".


 

A song for anybody who wonders about old Bogeyman's recent whereabout.



                                       





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