Momo - Ein Wiedersehen


Da saß sie, weiße Strähnen im gekrausten, schwarzen Haar,
trug Schuhe, die sehr alt und groß dazu war'n.
Ein geflickter Herrenmantel, unverwechselbar:
Momo! Hier, in meiner U-Bahn!

Das Mädchen, das am Stadtrand in dem Mauerloch logierte,
ein Kind mit reinem Herzen, ohne Argwohn,
das heldenhaft das Heer der grauen Herren ausradierte:
Da saß sie – und starrte auf ihr Smartphone.

Und ich, noch unentdeckt, ich empfand so allerhand:
Sie war mein bester Freund aus Kindertagen!
Nie wieder gab es jemand, der mich so wie sie verstand.
Ich höre noch die Nachbarn damals sagen:

Hat keiner mehr für dich Zeit?
Findest du keine Ruh?
Ein offenes Ohr ist nicht weit:
Momo hört dir zu!

Ich setz mich neben sie und sag: "Gestatten Sie, Signora?"
Daß sie sich nicht erinnert, ist verständlich.
Ich frag: "An welcher Haltestelle wohnt denn Meister Hora?"
Und da zeigt sie ein Lächeln: Sie erkennt mich!

"Mensch, Momo!", lache ich, "Ich hab' so oft an dich gedacht!
Ich zog ja damals fort, wenn auch nicht gern.
Was hast du in den letzten 20 Jahren so gemacht?"
Sie wundert sich: "Du kuckst wohl niemals fern!

Die Sendung heißt: Hör doch mal zu! – Der Zuschauer ruft an,
erzählt, und ich bekunde Sympathie,
und zwar indem ich schweige, doch ich nicke dann und wann.
Vielleicht kennst du die Titelmelodie:

"Hat keiner mehr für Sie Zeit?
Finden Sie keine Ruh?
Rund um die Uhr bereit:
Momo hört Ihnen zu!
Überall, jederzeit für Sie da:
Null-Null-Neunhundert ..." et cetera.

"Und kannst du davon leben, Momo?", frag ich. Sie erzählt,
die Hotline sei ja Tag und Nacht besetzt.
Sie müsse halt erreichbar sein, falls die jemand wählt.
Es klingelt, und sie grinst: "Zum Beispiel jetzt!"

Sie reicht mir einen Farbprospekt, so kann ich derweil blättern:
Ich lese "Momo-Shop" in fetten Lettern.
"Stundenblumen", steht da, "wenn Sie Ihren Schatz vermissen"
und "Gehört auf jede Couch: das Listen-Kissen".

Für Kinder als Konsolenspiel die "Graue Herren-Jagd",
die Momo-Puppe, die "Erzähl mal!" sagt.
Schildkröten, die Männchen machen, wenn sie aufgezogen,
darunter ihre Hotline und der Slogan:

"Hat keiner mehr für Sie Zeit?
Finden Sie keine Ruh?
Online-Bestellmöglichkeit:
Momo schickt's Ihnen zu!"

Ich falte den Prospekt zusammen, ein wenig irritiert:
Ich gönn ihr den Erfolg mit ihrem Talent!
Und daß der, mit dem du sprichst, nebenher telefoniert,
gehört ja heut zum Zeit-Management.

"Gern würd ich dir erzählen, Momo, aus den letzten Jahren,
doch steig ich hier jetzt aus, und du musst sicher weiterfahren.
Wie wär's wenn wir uns einmal träfen – an der Weltzeit-Uhr?"
Ich seh ihr an: Sie merkt, ich scherze nur.



(Holger Saarmann)

© by Holger Saarmann, September 2013



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(Holger Saarmann)

© by Holger Saarmann,

 






Von diesem Thema bin ich seit langem besessen:
Vom September 2005 (!) datiert eine erste Textfassung, die ich später versuchte, mit der Gitarrenkomposition "Schauer-Power" (Erkennungs-Jingle der Online-Radio-/ Podcast-Produktionen auf "Ein Achtel Lorbeerblatt") zu verheiraten, aber nie aufführte.
Auch die obige Textfassung, die ich im September 2013 auf Burg Waldeck fertigstellte, erlebte erst im April 2016 in unserer "Geschmacksverstärker"-Show ihre Premiere.




                                       




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