Sandstraße


Vom Fluss nur einen Steinwurf weit weg
hab ich gewohnt, in dem Altbau am Eck
mit zwei Freunden von mir.
Nun bin ich wieder hier
und such das alte Messingschild.

Sie hat es damals mit Pinsel bemalt,
drei gelbe Namen auf blauem Oval.
Doch wer heute hier lebt,
hat's bestimmt überklebt
wie ein Konzertplakat, das nicht mehr gilt.

Im Fachwerk hausen die Erinn'rungen,
teilen die Zimmer mit den ganz Jungen,
die wähnen sich ahnungslos allein.
Schlagläden, die im Wind knarren,
Offne Fenster, die zum Knast starren.
Ein Vorhang, der winkt mich nicht herein.

Ist es nur Vergangenheit,
was man Heimat nennt?
Nichts als ein Moment, 
den man erkennt
hinter einer langen Zeit?



Die Gasse rauf, am Kloster vorbei,
lebt er seit Jahren, stets ein Zimmer frei,
und er fragt, wie's mir geht,
wie's mit der Liebe steht,
und daß er auch mal wieder Single sei.

Weshalb ich mich für Berlin entschied,
wo's mich doch immerzu hier herzieht,
und warum ich nicht bleib,
ich sei den Hype doch leid
und all die Großstadt-Wichtigtuerei.

Und durch den Dampf aus unsern Teetassen
kann ich den Blick nicht von dem Bild lassen,
drauf sehen wir drei unzertrennlich aus.
Er fragt, ob ich weiß, wie's ihr wohl gehe.
Ich sag, daß ich sie oft im Traum sehe,
da wohnt sie stets noch im selben alten Haus.

Ist es nur Vergangenheit, ...




(Holger Saarmann)

© by Holger Saarmann, Februar  2016



Sandstraße


Only a stone's throw away from the river, 
I lived in the old building at the corner,
with two friends of mine.
Now I'm back here, 
looking for the old brass sign.

Back then, she painted it with a brush,
three yellow names on blue oval.
But those who live here today 
surely have covered it over 
like an outdated concert poster.

in the lattice, reminiscences reside,
sharing the rooms with the very young, 
who cluelessly imagine themselves alone.
Shutters creaking in the wind, 
open windows, staring at the jailhouse.
A curtain waving, not beckoning me in.

Is it just past times, 
what they call home?
Nothing but a moment
that you realize 
behind a long time?



Up the lane, past the monastery, 
he's been living for years, always a vacant room,
and he asks how I feel, 
and how about love, 
and that he also is single again.

Why I decided for Berlin,
when still feeling drawn back here,
and why I didn't stay,
being tired of that hype
and all the metropolitan bumbledom.

And through the steam from our teacups, 
I can not take my eyes off that picture,
showing the three of us, looking inseparable.
He asks if I know how she's doing.
I say that I often see her in my dreams,
and always, she still dwells in the same old house.

Is it just past times  ...




(Holger Saarmann)

© by Holger Saarmann, Februar  2016







1. Strophe von ca. 2006, 2. Strophe ergänzt im September 2013 auf Burg Waldeck.
Inspiriert von Gerry Raffertys "Baker Street" (1977).
Vertont anlässlich des "Geschmacksverstärker"-Mottos "Wo gehören wir hin" (März 2016).

Ein weiterer Anlass der Fertigstellung war sicherlich meine
philosophisch angeregte Suche nach Liedern über deutsche Städte, ein Thema, zu dem ich dann zwischen Juni 2015 und März 2016 vier moderierte Podcast-Sendungen produziert habe  (Titel: "Deutschlandreise", abrufbar auf "Ein Achtel Lorbeerblatt").  Da wollte ich mir beweisen, daß ich selber ein Lied über eine konkrete Stadt schreiben kann. Wobei die Stadt namentlich zwar unerwähnt bleibt, die Straßenangabe dafür umso eindeutiger ist. 
Und allen, die den "Knast" nicht poetisch genug finden, sei gesagt: Das Haus steht tatsächlich neben einer Strafvollzugsanstalt. 

Heute verdient der Hauseigentümer mit luxussanierten Ferienappartments in zwei Nächten soviel wie in den 90ern in einem Monat. Bezahlbaren Wohnraum gibt es kaum noch. Fast alle meine Freunde haben irgendwann die Stadt verlassen. Dieses Lied ist somit eine Erinnerung an eine Erinnerung.




                                       




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