Rejsele


Schtejt sich dort in Gessele schtil fartracht a Hajsele:

Drinen ojfn Bojdenschtibl wojnt majn tajer Rejsele

Jedn ovnt farn Hajsl drej ich sich arum

‘ch gib a fajf un ruf ojss: Rejsl, kum, kum, kum!

Efnt sich a Fensterl, wacht ojf’s alte Hajsele

Un bald kling in schtiln Gessl a siss Kol, ‘s red Rejsele:

“Noch a Wajle wart, majn Liber, bald wel ich sajn fraj,

Gej sich noch a por mol iber, ejns, zwej, draj!”

Gej ich mir a frejlecher, sing un knak mir Nisselech

Her ich ojf di Treplech schpringen ire drobne Fisselech

Schojn arop fun leztn Trepl ‘ch nem si lib arum

‘ch gib ir schtil a Kusch in Kepl, kum, kum, kum!

“‘ch will dich betn, Dowidl, solst arojf nischt fajfn mer!

Herst, er fajft schojn, sogt di Mame, si is frum, ‘s fardrist si sejer!

Fajfn, sogt si, is nischt jidisch, ‘s past nor blojs far sej.

Gib a Zejchn prosst ojf jidisch, ejns, zwej, drej.”

“’ch wil fun hajnt nischt fajfn mer, drojf gib ich a Schwuele!

Dir zulib will ich afile wern frum, majn Znuele.

‘ch wel sajn, wen du willst nor, Rejsl, wi dajn Mame frum,

Jedn Schabes gejn in Klejsl, kum, kum, kum!”

“’ch glojb es dir, majn Libinker, un derfar dir, Dowidl,

schtrik ich a schejn Tfiln-Sekl mit a Mogn-Dowidl

Wen gefeln ‘s wet in Klejsl, sogn solstu sej:

‘s hot geschtrikt majn libe Rejsl, ejns, zwej, drej.”


“’ch dank far dajn Matonele, ‘ch lib asoj dich Rejsele!

‘ch lib dajn Mamen, ‘ch lib dos Gessl, ‘ch lib dos alte Hejsele.

‘ch lib di Schtejndlech nebn Hejsel, tretst ojf sej arum -

Her, dajn Mame ruft schojn, Rejsel, kum, kum, kum!”

Gej ich mir a frejlecher, sing un knak mir Nisselech

Her ich ojf di Treplech lojfn ire drobne Fisselech

Wider schtejt fartracht dos Hejsel, ‘s Gessl wider schtum

Kum zu mir in Cholem, Rejsel, kum, kum, kum!




(Mordechaj Gebirtig)



Rejsele


Dort im Gässchen steht still verträumt ein Häuslein:

Drinnen, in der Dachstube, wohnt mein teures Rejsele.

Jeden Abend treibe ich mich vor dem Häulein 'rum,

ich pfeife und rufe: Rejsele, komm!

Öffnet sich ein Fensterlein, erwacht das alte Häuslein,

und schon erklingt im stillen Gässlein ihre süße Stimme:

"Warte noch eine Weile, mein Lieber, gleich bin ich frei!

Geh noch ein paarmal auf und ab - eins, zwei, drei."

So gehe ich, ein Fröhlicher, singe und knacke mir Nüsslein,

da höre ich auf der Treppe ihre zierlichen Füßlein springen.

Als sie auf der untersten Stufe ist, umarme ich sie lieb,

gebe ihr einen stillen Kuss auf's Köpflein - komm, komm, komm!

"Ich bitte dich, Dowidl, du sollst nicht mehr hinaufpfeifen!

Hörst, er pfeift schon, sagt die Mama, sie ist fromm, es ärgert sie sehr.

Pfeifen, sagt sie, ist nicht jüdisch, das tun nur die andern.

Gib einfach ein Zeichen auf Jüdisch - eins, zwei, drei!"

"Ich will ab heute nicht mehr pfeifen, das schwöre ich!

Dir zuliebe will ich sogar fromm werden, meine Süße.

Wenn du es wünschst, werde ich sogar so fromm wie deine Mama

und gehe jeden Sabbat in die Synagoge - komm, komm, komm!"

"Ich glaube es dir, mein Liebling, und dafür, Dowidl,

stricke ich dir ein schönes Säckchen für deinen Gebetsriemen, 

                                                              mit einem Davidsstern.

Wenn es in der Synagoge gefällt, dann sag:

Das hat meine liebe Rejsel gestrickt - eins, zwei, drei."

"Hab Dank für dein Geschenk, ich liebe dich so, Rejsele!

Ich lieb' deine Mama, ich lieb' das Gässchen, ich lieb' das alte Häuslein.

Ich lieb' die Steine vor dem Haus, die deine Füße berühren -

Hör, deine Mama ruft schon, Rejsel - komm, komm, komm!"

So gehe ich, ein Fröhlicher, singe und knacke mir Nüsslein,

höre auf der Treppe ihre zierlichen Füßlein laufen.

Wieder steht das Häuschen verträumt, im Gässchen wird es stumm.

Komm im Traum zu mir, Rejsel - komm, komm, komm!



(Mordechaj Gebirtig)




Mordechaj Gebirtig (1877-42) lebte in Krakau und war von Beruf Tischler und Möbelrestaurator. Mit Ende 20 entdeckte er die Schauspielerei und begann für die Laienspielgruppe, der er selber angehörte, Lieder zu schreiben. Dabei gelangen ihm einige der schönsten (jiddischen) Chansons des 20. Jahrhunderts: Ss brent, brider, ss brent , Kinderjorn, Hej, klesmorim, Ich hob dich lib, Schlof schojn majn kind, ... um nur mal jene zu nennen, die ich schon selber öffentlich gespielt oder gesungen habe - zusammen mit Ute Rüppels Projekt "Shalom Musik" in den 90ern.
Viele seiner Lieder wurden vollständig der Nachwelt überliefert, indem Gebirtig, der Notenschrift unkundig, Freunden (etwa dem Komponisten und Dirigenten Julius Hofman, der später in Auschwitz ermordet wurde) die Melodien auf der Flöte diktierte.

Gebirtig war auch politisch aktiv, als Mitglied der jüdischen Sozialdemokraten in Galizien. Als die nationalsozialistischen Besatzer am 4. Juli 1942 das Krakower Getto zwangsumsiedelten, wurde Gebirtig von einem deutschen Wehrmachtssoldaten erschossen. Die Nazis ermordeten in Krakau insgesamt fast 40.000 Juden.

In Karlijn Stoffels Jugendroman "Mojsche und Rejsele" ("Mosje en Reizele", 1998), der vor allem zwei fiktive Waisenkinder-Schicksale in einem Heim des Warschauer Pädagogen Janusz Korczak erzählt, spielen Mordechaj Gebirtig und sein Lied "Rejsele" eine Schlüsselrolle.

Auf der Website des Potsdamer Klezmer-Sängers Manfred Lem findet sich ein vollständigerer Kurz-Lebenslauf von Gebirtig.







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